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- Newsletter Mai 2023 | Nr. 217
- Editorial: Ende der Pandemie: Eine offene, kritische und konstruktive „Nachbesprechung“ ist unverzichtbarer Teil
Editorial: Ende der Pandemie: Eine offene, kritische und konstruktive „Nachbesprechung“ ist unverzichtbarer Teil
Gerade wegen der großen Einigkeit - über fast alle Interessensgruppen hinweg - bzgl. weiterer Pandemien in der Zukunft erscheint die Aufarbeitung nicht nur wünschenswert, sondern geradezu unvermeidlich. Diese Situation und ihre Komplexität wurde sehr konzise in einem offenen Brief beschrieben, der mit 44 Erstunterzeichner*innen am 20. April 2023 veröffentlicht wurde und seitdem für weitere Unterstützung durch Unterschriften im Internet zugänglich ist (https://pandemieaufarbeitung.net). Das Besondere an diesem Brief ist, dass sowohl durch die Erstunterzeichner*innen wie auch durch die weiteren Unterstützer*innen die Thematisierung über die übliche, beschränkte virologisch-medizinischen Perspektive hinausgeht und konsequent die gesamtgesellschaftliche Betrachtung anmahnt:
„Eine offene, kritische und konstruktive „Nachbesprechung” ist unverzichtbarer Teil eines jeden professionellen Krisenmanagements. Dabei ist neben dem objektiven Lernprozess auch die integrative Wirkung einer offenen Debatte auf die Zivilgesellschaft wesentlich. Hierzu gehört ein sachlicher Austausch unterschiedlicher Standpunkte als zentrales Merkmal einer demokratischen Diskussions- und Lösungskultur.“ Damit greift der Brief einen der zentralen Schwachpunkte der letzten drei Jahre auf, nämlich den Fokus auf den engen, nur auf die gesundheitlichen Gefahren und Lebensgefahr durch das Virus beschränkten vermeintlichen Nutzen der Maßnahmen zu legen. Bewertungen von Maßnahmen fußen immer auf der Abwägung zwischen Nutzen und Schaden unter Berücksichtigung der Kosten. Jahrzehnte Entwicklung der HTA-Methodik haben dafür ein Fundament entwickelt, das genutzt werden sollte und muss.
Dabei darf es nicht um späte Rechthaberei und Vergeltung an anderen Meinungen gehen, sondern um breites, gesellschaftliches Lernen, in dessen Mitte der Diskurs stehen muss. Dieser Forderung müssen sich die relevanten Gruppierungen in Politik, Wissenschaft, Gesetzgebung und Medien stellen, sowohl bzgl. ihres Binnenverhaltens wie auch ihres Zusammenspiels. Ohne wesentliche Fortschritte werden wir sonst in der nächsten Pandemie nicht besser gewappnet sein.
Prof. Dr. rer. nat. Gerd Antes - ehemaliger Leiter des Deutschen Cochrane Zentrums, Medizinische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg