Algorithmen sind bereits heute Teil unseres Alltags. Sie senden uns personalisierte Werbung, bestimmen unsere Kreditwürdigkeit oder helfen uns bei der Buchung einer Reise. Zunehmend werden Algorithmen auch im Gesundheitswesen eingesetzt, etwa bei der Diagnosestellung oder der Auswahl einer geeigneten Therapie. Die ethisch-normative Auseinandersetzung mit den Chancen und Risiken dieser Entwicklung steckt hierbei allerdings noch in den Kinderschuhen.
Die ceres Studie greift dieses Desiderat auf. Ihr Ausgangspunkt ist eine umfassende Literaturrecherche zu aktuellen Einsatzbereichen von Algorithmen in der Gesundheitsversorgung, ergänzt um eine Auswertung der wissenschaftlichen Fachbeiträge zu hiermit verbundenen ethischen Fragen. Ausgehend von einer Klassifikation und Begriffsbestimmung unterschiedlicher Arten von Algorithmen werden verschiedenen Beispiele für ihren Einsatz in der Gesundheitsforschung und -versorgung erläutert und analysiert. Das Spektrum der Einsatzmöglichkeiten reicht dabei von der Vorhersage psychischer Erkrankungen auf der Basis der Auswertung von Inhalten in sozialen Medien über die datenbasierte Unterstützung ärztlicher Therapieentscheidungen bis hin zur Mobilisierung gelähmter Menschen durch den Einsatz von Algorithmen in Gehirn-Computer-Interfaces. Wie anhand der Beispiele diskutiert wird, birgt der Einsatz von Algorithmen hier zahlreiche positive Potentiale, wie etwa die Erhöhung der Qualität und Effizienz der Gesundheitsversorgung durch eine verbesserte Früherkennung von Krankheiten und eine genauere Diagnosestellung oder eine Optimierung von Versorgungsprozessen. Zugleich ist der Einsatz von Algorithmen mit vielfältigen Herausforderungen verbunden und wirft ethische Fragen auf. Diese betreffen zum einen die Sicherheit und Kontrollierbarkeit der durch sie gesteuerten Systeme sowie die verwendeten Daten. Insbesondere selbstlernende Algorithmen zeichnen sich durch ein hohes Maß an Komplexität aus. Ihre Funktionsweisen sind damit – jedenfalls derzeit - selbst für ExpertInnen kaum noch nachvollziehbar. Damit stellt sich nicht nur haftungsrechtlich die Frage, wer hier die Verantwortung für Fehlfunktionen übernehmen kann bzw. muss. Des Weiteren greift die Studie Fragen danach auf, inwiefern der Einsatz von Algorithmen die Selbstbestimmungsfähigkeit von PatientInnen – und auch von ÄrztInnen und anderem medizinischen Fachpersonal – vermindern oder steigern könnte. Es wird hinterfragt, inwiefern er eine Diskriminierung einzelner Bevölkerungsgruppen befördern oder andere ethisch problematische Effekte haben könnte, z.B. wenn Entscheidungen über die Verteilung knapper gesundheitsrelevanter Güter auf der Basis von automatisierten Datenauswertungen getroffen werden.
Zum Abschluss der Studie werden eine Reihe von Handlungsempfehlungen und „To-do’s“ formuliert. Sie sollen denjenigen, die den Einsatz von Algorithmen im Gesundheitswesen praktisch planen und umsetzen, helfen den damit einhergehenden Herausforderungen angemessen zu begegnen. Benannt wird u.a. die Notwendigkeit der Etablierung einheitlicher Standards für die Erhebung, die Verarbeitung und den Austausch von Daten, die Aufstellung klarer Verhaltensregeln für ProgrammiererInnen, die Entwicklung geeigneter Aufklärungsansätze für eine informierte Einwilligung beim Einsatz von algorithmischen Systemen sowie die Einrichtung von interdisziplinären Teams, um eine Planung und Programmierung nach ethischen Grundsätzen zu ermöglichen. Darüber hinaus wird betont, dass es einer intensiven öffentlichen Diskussion über die moralischen und sozialen Konsequenzen bedarf, die sich aus dem zunehmenden Einsatz von (selbstlernenden) Algorithmen und automatisierter Datenverarbeitung in der Gesundheitsversorgung ergeben. Eine solche Diskussion sollte breit aufgestellt sein und so bald wie möglich initiiert sowie wissenschaftlich begleitet werden.
Prof. Dr. Christiane Woopen, geschäftsführende Direktorin des ceres (Cologne Center for Ethics, Rights, Economics and Social Sciences of Health) der Universität zu Köln und Leiterin der Forschungsstelle Ethik an der Uniklinik Köln
Ansprechpartner:
Dr. Minou Friele und Marc Jannes, ceres (Cologne Center for Ethics, Rights, Economics and Social Sciences of Health), Universität zu Köln.
Ceres/D 2019: Algorithmen in der digitalen Gesundheitsversorgung. https://www.ceres.uni-koeln.de/fileadmin/user_upload/Bilder/Dokumente/ceres-Bertelsmann_Algorithmen.pdf
Psychotherapien, wie die kognitive Verhaltenstherapie, finden üblicherweise in einem face-to-face Setting zwischen PsychotherapeutInnen und PatientInnen statt. Internet-gestützte Verfahren ermöglichen alternative Setting-Formen und sollen PatientInnen den Zugang zu effektiven Therapien erleichtern. Dies gilt v.a. für Länder (wie Kanada), wo PatientInnen, aufgrund der geographischen Gegebenheiten, oftmals große Distanzen zu Versorgungseinheiten zurücklegen müssen. Die klinische und ökonomische Evidenzlage von iCBT (Internet-gestützte Verhaltenstherapien) standen im Mittelpunkt eines kürzlich publizierten Forschungsberichts. CADTH, die kanadische Agentur für Arzneimittel und Technologien, und Health Quality Ontario (HQO) verfolgten mit diesem Assessment das Ziel, Handlungsempfehlungen für kanadische EntscheidungsträgerInnen im Gesundheitswesen zur Verfügung zu stellen. Dabei ging es um die Evaluation von mehreren iCBT-Aspekten, die bei Behandlungen von depressiven Störungsbildern und Angsterkrankungen eine Rolle spielen. Mit unterschiedliche HTA-Methoden (wie „overview of systematic reviews, „rapid reviews“), qualitativen Erhebungen und ökonomische Analysen wurden die klinische Wirksamkeit, Sicherheit und Kosteneffektivität von iCBT, PatientInnen-Perspektiven und -Erfahrungen sowie ethische Faktoren erhoben. Die Evidenzbewertung und die Formulierung von Handlungsempfehlungen erfolgte im Rahmen des „CADTH Health Technology Expert Review Panels (HTERP)“.
Folglich zeigte sich im Vergleich zu den Kontrollgruppen (PatientInnen auf Wartelisten), dass es zu einer Symptomverbesserung bei PatientInnen mit einer milden bzw. moderaten Depression bzw. mit Angsterkrankungen kam. Zudem stellten sich vergleichsweise größere Effekte hinsichtlich der PatientInnen-bezogenen Lebensqualität, der Behandlungszufriedenheit sowie der allgemeinen Remissions- bzw. Genesungsraten ein. Unklar bleibt die Frage nach einer Überlegenheit von iCBT gegenüber face-to-face Verhaltenstherapien (im Einzel- oder Gruppensetting). Zudem fanden sich in den eingeschlossenen Studien keine Endpunkte bezüglich der Sicherheit von iCBT. Kosteneffektivität von Internet-gestützten Verhaltenstherapien konnte gegenüber Standardbehandlungen für den Zeitraum von 1 Jahr festgestellt werden; keine Aussagen sind für einen längeren Zeitraum möglich. PatientInnen schätzten v.a. die zeitliche Flexibilität und räumliche Unabhängigkeit, die sich durch das Online-Setting ergaben. Herausforderungen wurden v.a. im Hinblick auf veränderte Interaktionsabläufe (etwa hinsichtlich der Etablierung von Therapieallianzen) zwischen TherapeutInnen und PatientInnen identifiziert.
Zusammenfassend wird iCBT für die Behandlung von erwachsenen PatientInnen mit leicht- bis mittelgradigen Depressionen bzw. Angsterkrankungen empfohlen. PatientInnen sollen bei iCBT von PsychotherapeutInnen begleitet werden, um individuelle Behandlungsbedürfnisse berücksichtigen zu können. Zudem sollen iCBT- Angebote ein breites Spektrum an Programmoptionen bieten, um ausreichend auf die gesellschaftlichen und kulturellen Hintergründe der PatientInnen Bedacht zu nehmen. Eine Integration von iCBT in den klinischen Versorgungskontext wird von den AutorInnen angeregt, um langfristig weitere Evaluationsergebnisse zu erzielen. RW
CADTH/ CA 2019: Internet-Delivered Cognitive Behavioural Therapy for Major Depressive Disorder and Anxiety Disorders: A Health Technology Assessment. https://www.cadth.ca/internet-delivered-cognitive-behavioural-therapy-major-depressive-disorder-and-anxiety-disorders
Zu neun der 13 untersuchten Verfahren wurde keine ausreichende Evidenz (vergleichende Studien) identifiziert, um den Nutzen der roboterassistierten Chirurgie gegenüber Laparoskopie und offener Chirurgie feststellen zu können. Zu Indikationen im Bereich des Thorax konnten keine randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) gefunden werden. Jedoch wurden vier nicht-randomisierte kontrollierte Studien (nRCTs) eingeschlossen. Die Indikationen im Bereich des Bauchraumes wurden in vier größere Bereiche unterteilt: Speiseröhre, Magen, Darm und Gallenblase/ Leber/ Hernie. Zu Speiseröhre wurden insgesamt fünf RCTs und zwei nRCTs, zu Magen drei RCTs, zu Darm sieben RCTs und zu Gallenblase/ Leber/ Hernie vier RCTs und drei nRCTs gefunden. In den meisten Studien wurden die relevanten Endpunkte (Morbidität, Mortalität, Lebensqualität, Ressourcenverbrauch) entweder nicht berichtet, nicht gemessen oder zeigten keine statistisch signifikanten Unterschiede.
Nur bei vier Verfahren (Ösophagektomie, Gastrektomie, Rektumresektion, Cholezystektomie) - und dazu nur für einen Teil der Endpunkte - waren Aussagen zur Wirksamkeit möglich, wobei die Evidenzqualität als niedrig oder höchstens moderat eingestuft wurde. Die meisten der Studien sprachen sich in einzelnen Endpunkten für die roboterassistierte Chirurgie aus, jedoch sind die Aussagen aufgrund der Evidenzqualität mit Unsicherheit behaftet. Derzeit laufen ungefähr 40 Studien oder sind in der Planungsphase, insbesondere zu Rektumresektion, Gastrektomie, Hernienreparatur, Ösophagektomie, Lobektomie, wobei in fünf von diesen mehr als 1.000 PatientInnen eingeschlossen werden. Die ersten Ergebnisse sind ab 2021 zu erwarten. Diese Studien sollten mehr Evidenz mit höherer Qualität liefern, um konkretere Aussagen bzgl. des klinischen Nutzens der roboterassistierten Chirurgie im Vergleich zur Laparoskopie oder offenen Chirurgie treffen zu können.
Die roboterassistierte Chirurgie ist zurzeit deutlich kostenintensiver als herkömmliche Operationstechniken. Um die Kosten zu rechtfertigen, müsste die Evidenz zum Nutzen insgesamt überzeugend sein. JE
LBI-HTA/ AT & EUnetHTA 2019: Roboterassistierte Chirurgie bei Indikationen im Bereich des Thorax und des Bauchraumes. LBI-HTA Projektbericht 109. https://eprints.aihta.at/1198/
Eine Übersichtsarbeit des Ludwig Boltzmann Instituts für Health Technology Assessment (LBI-HTA) (die nur als engl. Publikation, nicht als Bericht veröffentlicht wurde) gibt einen Überblick über Anwendungen von ATMP-Produkten kurz vor oder nach der Markteinführung. Das Arbeitsfeld der ATMP ist noch jung und es besteht bislang noch begrenzte regulatorische Erfahrung in der Zulassung: Die individuelle Herstellung in oft kleinen Stückzahlen führt zu einer komplexeren Situation bei der Zulassung und entsprechenden klinischen Studien(designs). Die Entwicklung von ATMPs ist meistens durch einen stark experimentellen Charakter gekennzeichnet und findet seinen Ursprung oft im akademischen Forschungsumfeld wie Universitäten und deren Kliniken.
Derzeit sind 8 ATMP-Produkte (u.a. die CAR-T Zelltherapien) zugelassen. 4 zugelassene Produkte wurden zurückgezogen (davon wurden 2 in früheren Jahren durch das LBI-HTA einer Bewertung unterzogen), bei 13 Produkten ist eine Marktzulassung bis 2020 (bzw. bis 2023) zu erwarten, weitere 32 dürfen über die „Hospital Exemption“ in einzelnen EU-Ländern angewendet werden. 31 ATMP-Kandidaten befinden sich in Industrie-finanzierten Phase III - Studien. Da ATMP auf komplexen Herstellungsverfahren beruhen, ist von hohen Kosten auszugehen. Eine frühzeitige Beschäftigung mit diesen neuen Therapien erscheint daher wichtig. CW
Eder C, Wild C (2019): Technology forecast: Advanced therapies in late clinical research, EMA approval or clinical application via Hospital exemption. Journal of Market Access & Health Policy. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/20016689.2019.1600939
LBI-HTA/ AT 2008: Clinical application of Tissue Engineering: An overview of International and Austrian Areas of Research with a critical analysis of selected applications. LBI-HTA Projektbericht 013. https://eprints.aihta.at/807/1/HTA_Projektbericht_013.pdf
Im Rahmen eines American Society for Bone and Mineral Research (ASBMR) Task Force-Berichts wurden Ergebnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit der vertebralen Augmentation und anderer, nicht-pharmakologischer Behandlungen von schmerzhaften Wirbelkörperfrakturen (beispielsweise durch die Anwendung einer Orthese) präsentiert. Mittels eines systematischen Reviews der vorhandenen Literatur und Meta-Analysen wurden die Outcomes hinsichtlich Schmerzen, Aktivitätseinschränkung, krankheitsspezifische und gesundheitsbezogene Lebensqualität, Behandlungserfolg (von PatientInnen selbst berichtet), neu aufgetretene Wirbelkörperfrakturen und Anzahl der schwerwiegenden Nebenwirkungen versus Outcomes einer Vergleichsgruppe (Placebo oder Scheinprozedur) untersucht. Es zeigte sich, dass die perkutane Vertebroplastie keinen nachweisbaren, klinisch signifikanten Nutzen gegenüber Placebo oder einer Scheinprozedur aufweist und es gab keinen Unterschied hinsichtlich der Dauer der Schmerzen. Die Ballon-Kyphoplastie bietet einen geringen klinischen Nutzen verglichen mit nichtoperativem Management, der perkutanen Vertebroplastie, dem „Vertebral Body Stenting“, oder dem KIVA® System. Es ist unklar, ob die Behandlungen das Risiko für Wirbelkörperfrakturen oder damit in Zusammenhang stehende schwerwiegende Nebenwirkungen erhöhen. Übungen könnten die Mobilität von PatientInnen mit Wirbelkörperfrakturen erhöhen und sowohl die Schmerzen als auch die Angst zu stürzen verringern, reduzieren aber nicht die Zahl der Stürze oder Brüche.
Die Durchführung der Vertebroplastie als Routinebehandlung kann durch die derzeit vorhandene Evidenz nicht unterstützt werden. Dies gilt wahrscheinlich auch für andere Augmentationsverfahren wie die Kyphoplastie, auch weil hochqualitative Evidenz aus placebokontrollierten Studien fehlt. Studien mit größeren Fallzahlen und Placebokontrolle sind ebenso erforderlich wie weitere Daten zu schwerwiegenden Nebenwirkungen und nicht-pharmakologischen Interventionen. Die vollständige Offenlegung der Evidenz für die PatientInnen gewährleistet, dass diese die beste, evidenz-informierte Entscheidung hinsichtlich ihrer Behandlung treffen können. ER
Ebeling PR et al. (2019): The Efficacy and Safety of Vertebral Augmentation: Second ASBMR Task Force Report. Journal of Bone and Mineral Research. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/jbmr.3653
22. und 23. 05. 2019
22. wissenschaftliche Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Public Health (ÖGPH)
"Sustainable Health"
Wien
https://oeph.at/22-wissenschaftliche-oegph-jahrestagung
15. bis 19.06.2019
HTAi 2019
“HTA beyond 2020: Ready for the New Decade?”
Köln
https://htai.org/annual-meetings/htai-2019-cologne/
14./15.06.2019 und 28./29.06.2019
EbM-Netzwerk
„Gemeinsam Informiert Entscheiden - Evidenzbasierte Entscheidungsfindung für Ärztinnen, Ärzte und Medizinstudierende“
Leipzig
https://www.ebm-netzwerk.de/ebm-events/kalender/gie-leipzig-2019
21.06.2019
IQWIG Frühjahrstagung „im Dialog“
„Liefern Kausalmodelle Belege für kausale Zusammenhänge?“
Köln
https://www.iqwig.de/de/veranstaltungen.2950.html
18. und 19. 11 2019
13th EHFCN International Conference
Berlin
http://www.ehfcn.org/13th-ehfcn-conference-in-berlin-germany/
20. bis 23. 11.2019
12th European Public Health Conference
Building bridges for solidarity and public health
Marseille
Impressum
Redaktion: Claudia Wild/ CW, Ozren Sehic/ OS
CW: Claudia Wild
ER: Eleen Rothschedl
JE: Judit Erdös
RW: Roman Winkler