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- Newsletter November 2018 | Nr. 172
- Editorial: Kinder, die mit psychisch erkrankten Eltern leben, unterstützen: Die Situation in Tirol
Editorial: Kinder, die mit psychisch erkrankten Eltern leben, unterstützen: Die Situation in Tirol
Die Ergebnisse zeigen, dass das Thema in vielen Versorgungsbereichen (Erwachsenenpsychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kinder- und Jugendhilfe, Sozialbereich, Schulbereich) aber auch bei zentralen Kostenträgern und in der Landesverwaltung wahrgenommen und als zunehmend wichtig gesehen wird. Beispielsweise haben fast die Hälfte der in der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie in Tirol behandelten Kinder psychisch erkrankte Eltern.
Eine Möglichkeit, in Kontakt mit den Kindern zu kommen, besteht im Rahmen der Behandlung psychisch erkrankter Eltern in der Erwachsenenpsychiatrie. Die häufigste Kassenleistung, die psychisch erkrankte Erwachsene im Alter zwischen 19 und 64 (also potenzielle Eltern) in Tirol in Anspruch nehmen, sind Medikamente (vielfach ausschließlich). Da diese zu über 90 % von AllgemeinmedizinerInnen verschrieben werden, könnte man über die Primärversorgung die meisten betroffenen Familien erreichen. Hingegen werden nur 5 % der 19 bis 64-jährigen PatientInnen (2.700 im Jahr 2017) in einer psychiatrischen Abteilung oder Tagesklinik behandelt. Allerdings sind das diejenigen, die schwer erkrankt sind und deren Familien daher besonderen Unterstützungsbedarf haben.
Die Analyse ergab außerdem, dass eine große Vielfalt an unterschiedlichen professionellen Angeboten besteht (z.B. Frühe Hilfen, Elternbildung, Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, Kinderbetreuung, kinder- und jugendpsychiatrische Angebote), die bei der Unterstützung betroffener Kinder und ihrer Familien von Relevanz sein können, wenngleich nur ein sehr kleindimensioniertes Angebot existiert, das speziell auf die Zielgruppe ausgerichtet ist (für Kinder mit suchtkranken Eltern). Zudem bestehen zahlreiche Selbsthilfe- und ehrenamtliche Initiativen und einige Tirol-spezifische Geldleistungen (z.B. für Familien in Krisensituationen), die eine wichtige Ressource darstellen.
Die Angebote sind aber regional unterschiedlich verteilt (z.B. Frühe Hilfen, Schulsozialarbeit nicht in allen Bezirken), haben eingeschränkte Kapazitäten (z.B. Kinder- und JugendpsychiaterInnen mit Kassenvertrag) und nicht alle sind frei zugänglich. Besonders die Inanspruchnahme familienorientierter Angebote ist vielfach nur nach Zuweisung der Kinder- und Jugendhilfe möglich, also erst bei Gefährdungspotenzial und / oder virulenten Problemen der Kinder. Eine große Barriere für eine bedarfsorientierte Koordinierung unterschiedlicher Angebote sind die unterschiedlichen Zuständigkeiten für die Finanzierung der Leistungen. Weitere Barrieren sowohl seitens der Betroffenen als auch seitens der Fachkräfte sind etwa Ängste und Scham, das Thema Elternschaft im Zusammenhang mit psychischer Erkrankung zu thematisieren, oder der Umstand, dass es keine standardisierten Prozesse zum Einbezug der Familie in die Behandlungsprozesse in der Erwachsenenpsychiatrie gibt.
Tiroler ExpertInnen sehen eindeutigen Handlungsbedarf. Eine sektorenübergreifende und interdisziplinäre Fachgruppe hat soeben begonnen, gemeinsam mit den ForscherInnen des „Village-Projektes“, erste konkrete Konzepte für Tirol zu entwickeln.
Dr. Ingrid Zechmeister-Koss, stellvertretende Institutsleiterin des LBI-HTA, Mitglied der Forschungsgruppe „The Village“
Zechmeister-Koss I, Goodyear M. Supporting children who have parents with mental disorders in Tyrol: A mapping of existing Tyrolean support structures. LBI-HTA Projektbericht Nr. 113a Wien: Ludwig Boltzmann Institute for Health Technology Assessment; 2018. https://eprints.aihta.at/1180/
Zechmeister-Koss I, Tüchler H. Prevalence of mental disorders and uptake of mental health services in Tyrol. LBI-HTA Projektbericht Nr. 113b. Vienna: Ludwig Boltzmann Institute for Health Technoloy Assessment; 2018. https://eprints.aihta.at/1181/
http://www.village.lbg.ac.at