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- Newsletter Oktober 2018 | Nr. 171
- Editorial: Impfmüdigkeit, -verweigerung und gesundheitspolitische Handlungsoptionen
Editorial: Impfmüdigkeit, -verweigerung und gesundheitspolitische Handlungsoptionen
Das Gutachten („opinion“) identifizierte zunächst in einer Literaturanalyse die Haupteinflussfaktoren für die Impfbeteiligung und bewertete Maßnahmen, von denen erwartet wird, die Durchimpfungsrate zu verbessern. Der Bericht verfolgte dabei einen systemischen Ansatz in der Betrachtung nationaler Impfprogramme (Rechtsrahmen und Organisation, Existenz eines Registers der Zielpopulation, Finanzierungsmechanismen und Monitoring): Dabei konnten eine Reihe von erschwerenden und erleichternden Faktoren für hohe Durchimpfungsraten identifiziert werden. Zu den Hindernissen für hohe Durchimpfungsraten gehören individuelle oder elterliche Sorge bezüglich der Sicherheit und Nebenwirkungen von Impfungen, der Mangel an Vertrauen in die Gesundheitsbehörden, sich kritisch mit Impfungen auseinanderzusetzen und reale Risiken zu kommunizieren, soziale Normen in gesellschaftlichen Subgruppen, sowie auch Gerüchte und Mythen, die das Vertrauen in Impfungen untergraben und nicht entkräftet werden konnten, weil entweder keine Evidenz oder keine Kommunikation zugunsten informierter Beratung angeboten wird, Zugangsbeschränkungen (z.B. schlechte Verfügbarkeit/ Zugangsbarrieren wie Ordinationszeiten oder Zuzahlungen) und fehlendes Verständnis der Gesundheitspolitik für die Ursache für das schwindende Vertrauen in Impfungen. Zu den Erleichterungen gehören verlässliche – evidenzbasierte – Informationsquellen über Impfungen und der dadurch bedingte Aufbau von Vertrauen in Impfungen, positive Medienbotschaften, der Aufbau von Vertrauen in Institutionen und VersorgerInnen, der leichte (barrierefreie) Zugang (z.B. bei weiteren Anbietern wie ApothekerInnen) zu und die leichte Verfügbarkeit von (kostenfreien) Impfungen, aktive Beteiligung und Engagement des Gesundheitspersonals sowie das individuelle Ansprechen von Zielgruppen.
Eine Reihe von politischen Optionen, um die Durchimpfungsrate zu erhöhen, kommen zum Vorschlag. Im Mittelpunkt steht ein differenzierter (nicht schwarz-weißer) Zugang zu Impfungen: Die Skepsis von expliziten Impf-SkeptikerInnen ist ernst zu nehmen und es muss ein partizipatorischer Dialog geführt werden. Kommunikationsstrategien über die Vorteile von Impfungen sind zwar wichtig, müssen aber nicht nur auf die Uninformierten (d.h. bei Fehlen von Information), sondern auch an die Fehlinformierten (d.h. bei falscher Information) und an die Desinformierten (d.h. bei Verbreitung von Information mit Täuschungsabsicht) eingesetzt werden. Evidenzbasierte Risikenkommunikation und Prioritätensetzung sowie rationale Abwägungen durch Gesundheitsbehörden bei neuen Impfungen ermöglichen eine differenzierte Betrachtung von Impfungen. Denn: Nicht alle Impfungen sind gleich effektiv und gleich notwendig in gesellschaftlichen Subgruppen. Ein elektronischer Impfpass soll jedenfalls das Monitoring von Wirkungen und Nebenwirkungen auf internationaler und nationaler Ebene stärken, um aktuelle Daten für Politik und Planung zu ermöglichen.
Impfungen sind in einigen Ländern für einzelne gesellschaftliche Gruppen verpflichtend (Krankenhaus- und Pflegepersonal, Kindergarten-/ Schulkinder) oder an explizite opt-out-Bedingungen nach Beratung geknüpft, in anderen „nur“ empfohlen. Ergebnisse zu Begleitforschung zur Wirksamkeit derartiger politischer Interventionen sind unzureichend verfügbar und sollten verstärkt beauftragt werden.
PD Dr. Claudia Wild, Institutsleiterin des LBI-HTA und seit 2017 Mitglied im EC-Expert Panel on Effective Ways of Investing in Health
EXP 2018: Vaccination Programmes and Health Systems in Europe. https://publications.europa.eu/s/iOLT
Piso, B & Wild, C/ 2009: Decision support in vaccination policies. In: Vaccine, 27(43): 5923-5928. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0264410X09011396