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- Newsletter November 2016 | Nr. 152
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Disruptive Gesundheitstechnologien: alter Wein in neuen Schläuchen?
Der Begriff „Disruptive Technologien“, vor ein paar Jahren nur Wenigen bekannt, wird dieser Tage immer öfter verwendet. Bislang nur für andere Branchen eingesetzt (Uber, AirBnB), wird damit die ernsthafte Bedrohung etablierter Sektoren durch neue Dienstleistungen und Technologien bezeichnet. Aber im Gesundheitswesen? Werden wir mit einem weiteren Schlagwort aus dem Marketing konfrontiert oder ist tatsächlich eine reflektierte Abgrenzung zum inflationär gebrauchten Begriff Innovation der Hintergrund. Im Folgenden soll eine Definition gesucht und Beispiele für disruptive Gesundheitsleistungen gefunden werden.
Ein rezenter Bericht eines von der Europäischen Kommission eingesetzten Panels on „Effective Ways of Investing in Health“ befasste sich mit „disruptive innovation“ und definiert diese folgendermaßen: nicht-disruptive „inkrementelle“ Neuheiten bauen auf der kontinuierlichen Verbesserung etablierter Systeme und Leistungen auf; disruptive Innovationen dagegen ersetzen bestehende Strukturen, Prozesse, Produkte, Dienstleistungen und Technologien völlig. Charakteristika disruptiver Gesundheitsleistungen, so der Bericht, sind niedrigere Kosten und erleichterter Zugang zu Leistungen, Personen-/ Patienten-zentrierte Leistungserbringung, neue professionelle Rollen und kultureller Wandel. Als Beispiele werden kurative Leistungen (regenerative Technologien, Immunotherapie), dezentrale, gemeindenahe und integrierte Dienstleistungen, multi-modale Personen-zentrierte Therapiekonzepte und nicht zuletzt der Transfer von Kompetenzen zu vielfältigen Gesundheitsprofessionen genannt: die Ermächtigung zur Erbringung von Aufgaben, die bislang von ÄrztInnen ausgeübt wurden.
In Health Technology Assessments und in Refundierungsentscheidungen spielen „disruptive Gesundheitstechnologien“ kaum eine Rolle.
Technologie- und Forschungspolitik, als Steuerungsinstrumente, sollte sich also mit den Treibern und Ermöglichern (driver and enabler) von „disruptiven Gesundheitstechnologien“ befassen und diese unterstützen: elektronische Patientenakte, Aufmerksamkeit für Evidenz-basierte Leitlinien und Interventionen, weniger Ressourcen in Problemlösungen, die sich mit „high-end“ Technologien befassen, als solche, die den Umgang mit chronischen Gesundheitsproblemen erleichtern. Die Academy of Finland (die nationale Forschungsförderungsinstitution) fördert seit 2015 Projekte zu „disruptiven Technologien“: Im Gesundheitsbereich wurden kaum Technologie-Projekte eingereicht.
Bei der Priorisierung in Investitionsentscheidungen scheint die Definition „disruptiver Gesundheitsleistungen“ aber durchaus brauchbar: substituierend statt additiv, integrativ statt exklusiv, kostengünstiger statt kostspieliger.
Priv. Doz. Dr. Claudia Wild, Institutsleiterin LBI-HTA
EC/ European Commission (Expert Panel on Effective ways of Investing in Health) (Oct 2015): Disruptive Innovation: considerations for health and health care in Europe. https://ec.europa.eu/futurium/en/system/files/ged/54_-_disruptive_innovation_ec_-_expert_panel_health_2015.pdf
Academy of Finland: Disruptive Technologies and Changing institutions: http://www.aka.fi/en/strategic-research-funding/programs/programmes-20152017/disruptive-technologies-and-changing-institutions/