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- Newsletter Mai 2016 | Nr. 147
- Fragwürdige Leistungen im österreichischen Primärversorgungssystem
Fragwürdige Leistungen im österreichischen Primärversorgungssystem
– eine Black Box?
Im Mai 2014 führten die Autoren die international bekanntesten Listen von fragwürdigen Leistungen („low value care“) zusammen: die „Choosing Wisely” Initiativen in den USA (2)und Kanada (3), „Smarter Medicine“ in der Schweiz (4), die „Do not do recommendations“ des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) (5) und die von Prasad et al. (6) und Elshaug et al. (7) identifizierten „contradicted medical practices” und „potentially low-value health care practices”. In Summe 1.658 fragwürdigen Leistungen. Davon waren 453 für den primären Versorgungsbereich relevant. Auf Basis der Routinedaten aus FOKO (Folgekostenrechnung) und LGKK (Leistungswesen Gebietskrankenkassen) ließen sich nur 34 (7,5%) dieser fragwürdigen Leistungen in Bezug auf die Anzahl der betroffenen Versicherten und Kosten für die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse (NÖGKK) abbilden. Vor allem die fehlende Erfassung von Diagnosen in der österreichischen Primärversorgung verhinderte eine umfassendere Analyse. Acht potentiell abbildbare Leistungen konnten ausgeschlossen werden, da sie im Untersuchungszeitraum nicht abgerechnet wurden.
Insgesamt waren im Jahr zirka 250.000 Versicherte der NÖGKK von den 26 verbliebenen fragwürdigen Leistungen betroffen. Die damit verbundenen Kosten beliefen sich auf zirka 11 Millionen Euro. Die monetär größten Positionen waren dabei: zu häufig durchgeführte PAP Tests, zu häufig durchgeführte Untersuchungen mittels Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DXA), unnötige Bestimmung von Schilddrüsenparametern, Atopie?Pflaster?Tests zur Diagnose einer IgE-mediierten Nahrungsmittelallergie, Krebsfrüherkennung bei Personen über 70, tägliche Blutzuckerkontrolle bei nicht-insulinpflichtigen Diabetikern, Langzeitverschreibung von Magenschutzmedikamenten, Behandlung mit „Mistelpräparaten“, Verschreibung von Fettsenkern an hochbetagte Personen und gleichzeitige Verschreibung von drei oder mehr antipsychotischen Medikamenten.
Trotz vieler Limitierungen zeigt unsere Studie, dass fragwürdige Leistungen auch in Österreich erbracht werden und mit Routinedaten der Krankenkassen abbildbar sind. Um mehr Licht in diese „Black Box“ zu bringen bedürfte es neben einer Verfeinerung der Methodik und Erstellung einer transparenten, nachvollziehbaren, strukturierten und evidenzbasierten österreichischen Liste von fragwürdigen Leistungen (8), vor allem der Einführung einer Diagnoseerfassung im primären Versorgungsbereich in Einklang mit internationalen Standards.
Dr. Martin Sprenger, Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Medizinischen Universität Graz; Mag. Martin Robausch, MPH, Niederösterreichische Gebietskrankenkasse (NÖGKK)
(1) Frühwald T. „Choosing Wisely“ fu?r Österreich? Eine nachahmenswerte Initiative zu Reduktion von Überversorgung. HTA-Newsletter. Juni 2013. 118.
(2) Choosing Wisely An initiative of the ABIM foundation. 2016. www.choosingwisely.org
(3) Choosing Wisely Canada. 2016. www.choosingwiselycanada.org
(4) Gaspoz JM. Smarter medicine: do physicians need political pressure to eliminate useless interventions? Swiss Med Wkly. 2015.
(5) Garner S, Littlejohns P. Disinvestment from low value clinical interventions: NICELY done? BMJ. 2011; 343:d4519.
(6) Prasad V, Vandross VA, Toomey C, et al. A decade of reversal: an analysis of 146 contradicted medical practices. Mayo Clinic proceedings 2013; 88: 790?8.
(7) Elshaug AG, Watt AM, Mundy L, Willis CD. Over 150 potentially low?value health care practices: an Australian study. The Medical Journal of Australia 2012; 197: 556?60.
(8) Gogol M, Siebenhofer A. Choosing wisely-against overuse in healthcare systems-activities in Germany and Austria in geriatric medicine. [Article in German]. Wien Med Wochenschr 2016.