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- Newsletter Jänner 2016 | Nr. 143
- Anfang oder Ende der Gesundheit?
Anfang oder Ende der Gesundheit?
Ein paar Anreize zum Nachdenken
"Unsere Vorfahren bauten Kathedralen, wir bauen Kliniken (...) Unsere Vorfahren retteten ihre Seele, wir retten unsere Figur" schreibt der deutsche Theologe und Arzt Manfred Lütz über die neue Gesundheitsreligion (1). Noch nie gab es so viele Angebote auf dem Gesundheitsmarkt. „Kauf mich, ich bin gesund“ ist die Botschaft vieler Produkte im Lebensmittelmarkt, in der Apotheke und Drogerie, im Tourismus, in den Medien, im Freizeithandel und im Wellness Bereich, aber auch im Möbelgeschäft und beim Baustoffhändler (2).
Unsere Gesundheitssysteme können sich dieser Dynamik nicht entziehen. Neben der traditionellen Krankenversorgung entwickelt sich der Präventionsmarkt zum universellen Bauchladen für Versicherte und zahlungskräftige PrivatkundInnen (3). Die Zielgruppe sind gesunde Personen, frei von Beschwerden. Bei ihnen wird nach Risiken und Krankheitsvorstufen gesucht, mit allem was der modernen Diagnostik zur Verfügung steht. Ein aktives und gesundes Altern ist die neue BürgerInnpflicht. Wer trotz der zahllosen Angebote krank wird ist selber schuld. Jules Romain hat in seiner Komödie „Triumph der Medizin“ vor fast hundert Jahren gezeigt, dass es auch andersherum gehen kann (4). Wer trotz der zahllosen Angebote gesund bleibt hat vielleicht nur Glück gehabt.
Die besorgten Gesunden sind die attraktivsten KundInnen auf dem Gesundheitsmarkt. Sie lassen sich ihre Blutwerte kontrollieren, den Blutdruck messen, den Körper durchleuchten und genetische Risiken abklären. Am Ende steht das persönliche Risiko auf zwei Kommastellen genau und mit einer Gewissheit kommuniziert, die keine Zweifel zulässt. Die Zukunft ist nicht mehr ungewiss, denn die moderne Medizin kann sie berechnen, lautet die Botschaft. Und die neuen Gesundheitsgurus halten auch gleich die entsprechenden Angebote bereit. Sei es ein maßgeschneidertes Ernährungs- und Bewegungsprogramm, oder eine täglich einzunehmende Tablette, um die leicht erhöhten Risikowerte in den Griff zu kriegen. Und für jene mit erhöhtem Krebsrisiko gibt es eine maßgeschneiderte Abfolge von diagnostischen Tests, damit auch ja früh erkannt wird, was böse enden könnte. In unseren modernen Gesellschaften wurde „Don’t worry be happy“ durch „Don’t worry be tested“ ersetzt. Der Hinweis darauf, dass diese Angebote für die „besorgten Gesunden“ mit Risiken verbunden sind und auch krank machen können, wird als ketzerisch und blasphemisch abgetan (5,6). Bei der neuen Gesundheitsreligion hört sich der Spaß auf.
Wer glaubt, all diese Vorgänge beschränken sich auf den privat zu zahlenden Bereich unseres Gesundheitssystems, täuscht sich. Natürlich ist dort das Marketing noch professioneller, die Angebote noch ausgefallener. So kann es schon einmal sein, dass eine Privatversicherung dem Wunder Mensch mittels Hightech Untersuchung zusätzliche abklärungsbedürftige Befunde verleiht (7,8). Aber auch das öffentliche Gesundheitssystem ist hochmotiviert, dem immer längeren Leben immer mehr gesunde Jahre zu schenken. Was liegt da näher, als in die Prävention, die Vorbeugung von Krankheiten, zu investieren. Ist das nicht besser, billiger und klüger, als später die Krankheitsfolgen zu behandeln? Und schaden tut es auch nicht, oder? Also werden gezielt Anreize gesetzt damit möglichst viele Personen regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung und Krebsvorsorge gehen. „Gesundheitsprävention“ nennen wir das. Aber schützen diese Maßnahmen wirklich vor Krankheit und Krebs (9), und wollen wir wirklich der Gesundheit vorbeugen? Wären Investitionen in gesundheitsfördernde Verhältnisse nicht viel effizienter (10)? Die Suche nach den Antworten auf diese Fragen sollte ein Anstoß sein über Anreize nachzudenken. Denn gut gemeint, ist nicht immer gut durchdacht.
Dr. Martin Sprenger, MPH, Leiter der Public Health School Graz
Quellen:
(1) Lütz M. (2010). Lebenslust in unlustigen Zeiten
(2) Wirtschaftskammer Österreich. (2011). Zukunftsmarkt Gesundheit. Trends & Handlungsempfehlungen für Ihr Unternehmen
(3) Maio G. (2015). Geschäftsmodell Gesundheit: Wie der Markt die Heilkunst abschafft
(4) Romains J. (1928). Knock oder der Triumph der Medizin: Komödie in drei Akten
(5) Welch G. (2015). Less Medicine, More Health: 7 Assumptions That Drive Too Much Medical Care
(6) Moynihan R, Doust J, Henry D. (2012). Preventing overdiagnosis: how to stop harming the healthy. BMJ 344:e3502.
(7) Merkur. Die Gesundheitsversicherung. Gesundheitsvorsorge. Hightech Früherkennung. www.merkur.at/cms/ziel/334721/STD/
(8) Hegenscheid K, et al. (2013). Potentially relevant incidental findings on research whole-body MRI in the general adult population: frequencies and management. European Radiology. 23:3; 816-826.
(9) Saquib N, Saquib J, Ioannidis JP. (2015). Does screening for disease save lives in asymptomatic adults? Systematic review of meta-analyses and randomized trials. Int J Epidemiol. 44(1); 264-77.
(10) European Observatory on Health Systems and Policies. (2015). Promoting Health, Preventing Disease. The Economic Case